Industrie 4.0 – Hat Deutschland die Revolution verschlafen?


Dr. Manfred Ziegler
CEO, Gründer und Gesellschafter
der conzima GmbH.

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Deutschland fällt bei der Umsetzung von Industrie 4.0 zurück! Zu dieser Erkenntnis kommt eine Studie des Europäischen Patentamtes, die Anfang Dezember 2020 veröffentlicht wurde. Deutschland droht damit, in einem weiteren für seine gesellschaftliche und wirtschaftliche Zukunft essentiellen Bereich abgehängt zu werden. Der Rückstand verwundert. Denn der Begriff Industrie 4.0 ist eine deutsche Erfindung. Mithin sollte man denken, dass die heimischen Unternehmen daher eine Führungsrolle einnehmen. Diese hatten sie auch, doch dazu später.

Die erste Verwendung des Begriffs Industrie 4.0 ist im Rahmen der Hannover Messe 2011 dokumentiert. Henning Kagermann (Physiker und Manager), Wolf-Dieter Lukas (Physiker und Staatssekretär im Bundesministerium für Forschung und Bildung) und Wolfgang Wahlster (Informatiker und Hochschullehrer) haben vor rund neun Jahren in einem Artikel die Umwälzungen der Wirtschaft durch technische Entwicklungen in den Bereichen Internet der Dinge, Big Data, künstliche Intelligenz, Echtzeitvernetzung von Produkten, Prozessen und Infrastrukturen als vierte industrielle Revolution erkannt und dieser den Namen Industrie 4.0 gegeben. Wer diesen Blog regelmäßig verfolgt, wird spätestens beim Stichwort „Echtzeitvernetzung“ die Augenbrauen hochziehen. Denn hierfür sind schnelle und breite Datenautobahnen unabdingbar. Doch steht Deutschland in dieser Hinsicht nicht sonderlich gut da, um es einmal vorsichtig zu formulieren. Ein Faktor für die langsame Weiterentwicklung der Industrie 4.0 ist sicherlich hier zu finden.

Der Schwachpunkt der Datenübertragung lässt sich vielleicht noch aufholen. Schließlich sind auch hierzulande die ersten 5G-Projekte am Laufen. Ende November vermeldeten Nachrichtenagenturen, dass der Netzaufbau schneller vorankommt als geplant. Bereits heute können zwei Drittel der Bevölkerung den Mobilfunk der fünften Generation im Netz der Telekom nutzen. Immerhin.

Bedenklich ist meines Erachtens ein anderer Punkt: Bei der Entwicklung neuer Produkte im Bereich Industrie 4.0 fällt Deutschland immer weiter zurück. Von den im Jahr 2018 angemeldeten 40.000 Patenten in diesem Bereich, stammten gerade einmal 2051 aus Deutschland. Weltweit reicht das nur für Platz fünf hinter den USA mit 11 927 Anmeldungen, Japan (6679), China (6307) und Korea (4370). Auch mit dem durchschnittlichen Wachstum der Patentanmeldungen liegt Deutschland mit 14,9 Prozent pro Jahr deutlich hinter den USA, Südkorea und China. Dass Deutschland immer noch den Spitzenplatz in Europa einnimmt, ist dabei ein schwacher Trost. Es muss ein Weckruf sein, dass Amazon, ein Unternehmen, das als Online-Buchhändler gestartet ist, heute auch ein führender Anbieter für industrielle Cloud-Lösungen ist. Anfang Dezember hat Amazon Web Services übrigens eine ganze Reihe neuer Machine-Learning-Angebote für die Industrie vorgestellt.

Offensichtlich hat unser Land der Tüftler eine Entwicklung verschlafen, nachdem es zunächst Vorreiter der Entwicklung war. Schon vor zwei Jahren hat der VDMA konstatiert, dass die Branche zwar „rege über Stichworte wie Internet der Dinge, Industrie 4.0, Digitalisierung“ diskutiere, viele Unternehmen die Relevanz des Themas aber noch nicht erkannt hätten. Vor allem KMU hatten IT über lange Zeit nur als ein Mittel gesehen, um sich zu automatisieren und vorhandene Skills weiter zu perfektionieren. Das reichte immerhin, um eine Zeitlang die Führungsrolle zu übernehmen. Der Kernpunkt von Industrie 4.0 ist aber die Frage, was eine Firma dank einer leistungsfähigen IT jetzt tun kann, was sie bislang nicht konnte. Dieser Schritt wird bislang zu selten gegangen. Der klassische Unternehmergeist ist mehr denn je gefragt.

Mittlerweile sehe ich aber einige Anzeichen dafür, dass die Verwerfungen des Corona-Jahres diesen Geist wieder wachgerufen haben. Vor allem die vielen kleinen und mittelständischen Spezialisten und Hidden Champions erkennen nach und nach, welche Chancen für sie in Industrie 4.0 stecken. Dabei haben sie wichtige Vorteile: Die meisten von ihnen fliegen immer noch unterhalb der Radarschirme des Silicon Valleys. Dort interessiert sich beispielsweise kaum jemand für die vielen Aspekte des thermischen Managements in Fahrzeugantrieben, um nur ein Beispiel zu nennen. Wer aber als Zulieferer inmitten der Automotive-Branche groß geworden ist, dem stecken solche Themen im Blut. Und es fällt ihm daher leichter, sich mit einer digitalen Plattform für die Vermittlung solcher Bauteile auf dem Markt zu behaupten — oder gar neue Anteile zu gewinnen. Ingenieurskunst und Digitalisierung haben begonnen, zusammenzuwachsen. Die Chancen, dass das Land, in dem der Begriff Industrie 4.0 geboren wurde, künftig wieder zum Vorreiter der Revolution wird, stehen daher meines Erachtens recht gut. Jedenfalls besser, als die oben genannte Studie es ausweist.

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